Walden 0/2/7

Da Du aktuell Deine Zeit vor allem im Zug verbringst und von einer Premiere zur nächsten reist, spring ich mal ein und poste eine reale Utopie:

Walden 7 (erbaut 1975) vom katalanischen Architekten Ricardo Bofill, ist die tollste soziale Plastik die ich je besucht habe! Es liegt in der Nähe von Barcelona, direkt daneben – auf dem Foto rechts! – sein Büro in einer alten Zementfabrik. Der Name des Wohnkomplexes wurde von Bofill persönlich gewählt, natürlich bezieht er sich auf den utopischen Roman Walden 2 (1948) des Psychologen Burrhus Frederic Skinner, der wiederum auf Walden (1854) von Henry David Thoreau rekuriert. Aber was will uns Bofill damit sagen?

“I learned this, at least, by my experiment: that if one advances confidently in the direction of his dreams, and endeavors to live the life which he has imagined, he will meet with a success unexpected in common hours.” (H.D. Thoreau, Walden: Or, Life in the Woods) oder “at this very moment enormous numbers of intelligent men and women of goodwill are trying to build a better world. But problems are born faster than they can be solved.”? (B.F. Skinner, Walden 2)

Territorium

Hier eine aktuelle Arbeit, die mich total fasziniert: The Blaze (‚Flamme‘. Aber auch engl.: ‚kiffen’! Im franz. Slang soll ‚blaze‘ sogar auch noch ‚Name‘ heißen: „mon blaze est…“) sind ein Elektronik Duo aus Paris. Die Cousins Guillaume und Jonathan Alric machen aber nicht nur elektronische Musik sondern vor allem intensive, cineastische Videos!

In TERRITORY gibt es so viele ambivalente Momente: Freude und Tränen, Aggression und Zärtlichkeit, Pathos und Affentanz. Auch beim x-ten Mal, dass ich mir das Video jetzt reinziehe, kann ich nicht sagen, ob meine Anziehung oder Ablehnung überwiegt – die portraitierten jungen Männer haben in ihrer Virilität ja nicht nur ästhetisch eine explosive Kraft. Mein Lieblingsmoment: da wo die Doku-Ästhetik mit einem Tanzvideo kollidiert und die angedeuteten Faustschläge auf die Beats montiert sind.

história estranha

Also ich häng der 6-wöchigen Auszeit ja noch ein bißchen nach und deswegen dacht ich mir, ich klär mal auf, wieso der Hirsch auf den Fliesen an der Fassade der Kirche „Nossa Senhora da Nazaré“ ins Wasser springt:
In dieser Kirche wird eine kleine holzgeschnitzte Statue einer Jesus stillenden schwarzen Madonna aufbewahrt, die der religiösen Tradition nach in Nazareth nach Jesu Geburt gefertigt worden sein soll und die wohl zu den ältesten Marienskulpturen der Geschichte gehört. Nachdem sie über viele Umwege in die Hände des letzten christlichen westgotischen König Hispaniens Roderich gelangt, versteckt dieser sie – der Sage nach – um 714 in einer Felsspalte an einer der steilen Klippen in Nazaré.
Und tatsächlich übersteht die Statue die etwa 450-jährige Herrschaft der islamischen Mauren unentdeckt in dieser Felsnische. Erst 1179 bei der Reconquista Portugals findet der Ritter Dom Fuas Roupinho bei einer Jagd die Figur, belässt sie aber in ihrem Versteck. Am 8. September 1182, verfolgt D. Fuas auf seinem Pferd im tiefen Nebel auf der Anhöhe von Sítio einen Hirsch, der von der Klippe springt und in die tiefe Bucht von Nazaré stürzt. D. Fuas will gerade dem Hirschen nachsetzen, da erscheint ihm das Abbild Marias, er stürzt sich vom Pferd und ist dadurch gerettet. Zum Dank für dieses Wunder lässt D. Fuas eine kleine Kapelle erbauen. Diese Kapelle wird zum Mittelpunkt der Verehrung des Heiligen Abbildes Unserer Lieben Frau von Nazareth. Im 17. Jahrhundert wird die Kirche in ihren jetzigen Zustand umgebaut und mit Keramikfliesen ausgestattet, sie erhält außerdem eine kleine Tribüne, so dass die Pilger direkt an der Statute vorbeigehen können.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Kirche der bedeutendste Wallfahrtsort in Portugal – dann erscheint am 13. Mai 1917 den drei Hirtenkindern Lúcia, Jacinta und Francisco auf einem Feld bei Fátima die Jungfrau Maria. Und die Pilger wenden sich landeinwärts, in diesem Jahr -zum hundertjährigen Jahrestag- wurden Jacinta und Francisco heilig gesprochen und über eine Million Besucher erwartet. Was für ein Glück für Nazaré, dass diese Welle an der schwarzen Madonna vorübergegangen ist.

STRANE STORIE

Nach 6 1/2 Wochen wieder am heimischen Schreibtisch! Zum Glück hast Du den Urlaubsfreiheitstraum mitgedöst und wir haben uns nicht alle zwei Tage an den ausstehenden nächsten Beitrag erinnert. Nun nehme ich den Faden aber wieder auf und greife zurück auf Marsmenschen die einem die Luft verkaufen wollen:

In ‚STRANE STORIE, RACCONTI DI FINE SECOLO’ von Sandro Baldoni kommt ein Mann in eine ganz ähnliche Situation wie Nemo: er wacht morgens hustend und hechelnd auf und muss feststellen, dass er vergessen hat die Luft zu bezahlen. Die bolletta liegt ungeöffnet und vor allem unbezahlt in der Post, mit letztem Atem erreicht er den Palazzo dell’Aria, schafft es, sich durch die wartende Schlange zu kämpfen und kann sein Konto gerade noch vor Dienstschluss begleichen! Kaum aus der Türe zündet er sich erstmal ne Zigarette an – tja, der Film ist von 1994, da war das normal und keiner Rede wert. Wenn ich drüber nachdenke erscheint mir diese Reaktion aber auch heute als die einzig logische Konsequenz!
Das ist nur die erste großartig absurde Geschichte dieser commedia italiana. In den weiteren Episoden kommt es z.B. zu einer tödlichen Familienfehde zwischen einer armen Prolofamilie aus dem Norden und reichen ’sudisti‘ und eine Dame besten Alters muss sich damit herumschlagen, dass der eben im Supermercato geshoppte Mann schon abgelaufen ist und deshalb zuhause ausgepackt keinen hochkriegt…

Sehr zu empfehlen und auf Youtube in Gänze vorhanden: https://www.youtube.com/watch?v=yiHwmA1SmsM

une autre MARSeille

Irgendwie häng ich an diesem MARS Thema ein bißchen fest. Diesmal gibts zum Thema eine musikalische Reise weit zurück in die französisches Rap Vergangenheit:


Wer IAM wirklich sind, wollen sie nicht festlegen, entweder Imperial Asiatic Men oder Indépendantistes Autonomes Marseillails oder auch Invasion Arrivant de Mars. Die Bandgeschichte begann bereits 1984, der Song kam 1991 raus und die Band gibt es bis heute und gerade dieses Jahr ist ihr neues Album Rêvolution erschienen. IAM stehen mit am Beginn der bis heute erfolgreichen Geschichte des französischen Raps, der nach den USA den weltweiten größten Markt bedient. Im Schatten von IAM haben sich bis heute zahlreiche Rap und HipHop Bands in Marseille entwickelt und aus der Tradition, dass IAM in den Probenräumen des in den 90er Jahren gerade neu eröffneten Kulturzentrum Friche La Belle de Mai anstatt Miete zu zahlen pro Jahr ein Konzert umsonst spielen musste, hat sich ein internationales Rapfestival entwickelt. Als Tourist bekommt von davon relativ wenig mit, dass es aber – wie das Plattencover von De La Planete Mars schon verrät- noch einen anderen Blick auf Marseille geben kann, wird einem relativ schnell bewußt.

Tannhauser

„I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser Gate. All those moments will be lost in time like tears in rain. – Time to die.“

Das Tannhäuser Tor kommt in der Romanvorlage (also in Philipp K. Dick’s „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“) nicht vor und auch im Netz findet sich kein Nachweis für die richtige Bezeichnung dieses extraterrestrischen Schlachtfeldes. Aber ich finde Castellucci hat Recht: das Tannhäuser Tor ist der Eingang zum Venusberg, es hat die Form einer Frauensilouette und dahinter grast auch ganz sicher ein Blumen geschmückter Schimmel der auf den Namen Batty hört!

Der überfällige Dylan Dog Beitrag

Als ich Dich Freitag vor dem Kino mit „Allô Véronique!“ begrüßt habe, nahm die Sache ihren Lauf! Véronique hieß im folgenden Kinogenuss Laureline. (Daß der Carlsen Verlag für die deutsche Comic Ausgabe den Namen verändert hatte, is’ schon wieder so nen typischer deutscher 70er Jahre Übersetzungsquatsch!) Nach dem Film meintest Du, ich solle Dir nicht wieder Comic PDFs aufm Handy unter die Nase halten, sondern lieber hier was über VALERIAN schreiben. Sofort wurde mir klar, jetzt kann ich mich nicht mehr drücken – jetzt muss ich ran an den überfälligen Dylan Dog Beitrag.

Die Zeit drängt! Dieser Beitrag ist meine letzte Chance! Nächste Woche geht es los und wenn ich jetzt keine Klarheit in dieses Dickicht bringe, wird es wieder enden wie jedes Jahr: nach einem ungezählten Spritz (al Select) wird Daniel mir wieder erzählen, dass Dylan Dog von einem Film inspiriert ist, einem B-Movie aus den 90ern, der so kultig ist, dass zwangsläufig alle späteren Dylan Dog Verfilmungen scheitern müssen. Sozusagen eine perfekte Verfilmung ‚in anticipo‘! Und mir wird das wieder ‚spanisch‘ vorkommen (oder, da wir dann gerade in Italien sind aber deshalb nur anders und nicht weniger rassistisch reden, werden mir seine Behauptungen als ‚cose turche‘ erscheinen!). Und da wir aber wieder zu faul sein werden, um auf italienisch zu googlen, werden wir das Enigma um Tiziano Sclavi, Rupert Everett und Co. wieder nicht klären können!

Deshalb hier und jetzt:

1985 wurde Sclavi vom Verleger Sergio Bonelli gebeten ein Horrorcomic zu entwickeln (als parallele Reihe zum schon etablierten Martin Mystère), ab 1986 erscheint Dylan Dog bei Bonelli und wird schnell das erfolgreichste Comic des Verlages.

Aber schon 1983 hatte Sclavi die Novelle DellaMorte DellAmore geschrieben, die damals noch keinen Verleger fand! Die Novelle wurde erst 1991 (bei Camunia) publiziert und 1994 unter der Regie von Michele Soavi verfilmt. Soavi lernte bei Dario Argento und erschuf eine wunderbar fellinesche Adaption, die man leider nur auschnittweise auf Youtube findet! Und natürlich nicht unter Dylan Dog, sondern nur wenn man den Namen des Filmes / des Romanes eingibt (cemetery man oder zombie graveyard ist auch hilfreich, womit wir wieder bei blöden fremdsprachigen Titeln wären!). Die Hauptfigur Francesco Dellamorte arbeitet als cemetery man und kümmert sich um die nach 7 Tagen als Zombies wiedererwachenden Toten. Als seine Freundin (scheinbar!) stirbt, trägt er sie zu Grabe und als sie nach 7 Tagen wiederaufersteht muss er auch sie mit einem Kopfschuss ins Grab zurückbefördern. Leider tötet er dabei seine scheintote Geliebte! Das checkt er natürlich erst als sie 7 Tage später wieder vor seiner Türe steht… Aiaiai – das ist schlimmer als den Geburtstag vergessen, oder?

Jetzt kommt die tolle Volte, die alles verkompliziert: als Sclavi am Dylan Dog Comic sitzt – also 1985 – schickt ihm sein Zeichner Claudio Villa die ersten Entwürfe für den Protagonisten. Dieser sieht ihm aber zu sehr wie ein „ballerino spagnolo“ aus (sic!). Er schickt Villa ins Kino, da läuft gerade Rupert Everett in ANOTHER COUNTRY: „vai al cinema, […] guarda il film, e tira giù quella faccia lí!“ (siehe Dylan Dog Wikipedia Italia!) Deshalb sieht Dylan Dog aus wie Everett – klar?! Als Sclavi, Soavi und co. dann 1994 die (schon viel früher erdachte) Novelle verfilmen können, ist Sclavi (durch Dylan Dog) schon so berühmt, dass sie Rupert Everett für die Hauptrolle gewinnen können. Deshalb sieht Francesco Dellamorte nicht nur aus wie Everett (klar!) sondern auch wie Dylan Dog! Rupert Everett erfährt nach eigener Aussage erst 1994, dass er seit fast zehn Jahren ein italienischer Comicstar ist! (https://www.youtube.com/watch?v=FKyUwPJ-tzI)

Okay? Und wir – lieber Daniel – checken jetzt auch langsam alles, oder!?

alternative living on mars?

Irgendwie häng ich noch an meinem Mars Beitrag fest.
Ich habe nämlich bei der erneuten Lektüre von LITTLE NEMO IN SLUMBERLAND festgestellt, dass es noch einiges an freiem Wohnraum auf dem Mars geben soll… Vielleicht wäre das ja eine Alternative für uns?

Wobei der Comic ist von 1914, da ist es eher unwahrscheinlich, dass es immer noch genügend freien Wohnraum dort gibt.
Wo und wann ich meine erste Begegnung mit LITTLE NEMO hatte, kann ich mich leider nicht mehr richtig erinnern, aber vor kurzem ist mir die Gesamtauflage der Comics über den Weg gelaufen und hat mich ganz genauso in Bann gezogen, wie damals…
Ab 1905 vom Zeichner Winsor McCay wöchentlich im New York Herald veröffentlicht, erlebt Little Nemo in surrealen Traumszenarien nächtliche Abenteuer auf der Reise nach Slumberland, wo König Morpheus Nemo gerne als Spielkamerad für seine Tochter, die Prinzessin, hätte. Jeder Comic endet immer damit, dass Nemo aus seinen Träumen erwacht.
Insgesamt zeichnete Winsor McCay 549 aufregende Abenteuer für Nemo, mit denen er das Genre revolutionierte und die Leser mit brutalen Cliffhangern Woche für Woche auf die Folter spannte…

The Face behind Anonymous

Ein Domino Effekt: 1605 wird das Gunpowder Plot Attentat auf das House of Lords und King James I. vereitelt. Einer der Attentäter, der katholische Offizier Guy Fawkes wird verhaftet, er bleibt bei der Folter standhaft und springt bei seiner Hinrichtung vom Schaffott in den Tod. Noch im gleichen Jahr wird die Bonfire Night als Gedenktag eingeführt und seitdem im gesamten Kingdom als antikatholischer Feiertag mit Umzügen und der rituellen Verbrennung von Guy-Fawkes-Puppen begangen. 1982 erfinden der britische Comic Autor Allan Moore und sein Zeichner David Lloyd eine Guy Fawkes Maske als Konterfei für ihren gesichtslosen Revolutionär V. 2005 wird ihre Graphic Novel V for Vendetta von James McTeigue dann verfilmt, das Drehbuch stammt von den Wachowski Geschwistern und Natalie Portman spielt die weibliche Hauptrolle.
Wie wir wissen, beginnt hier eine neue Karriere des berühmten britischen Verbrechers. Die Filmmaske wird endlos vervielfätigt und ab 2008 weltweit von Demonstranten getragen. Guy Fawkes Gesicht wird zum Symbol der Widerstandsbewegungen des 21. Jahrhunderts: die Internetaktivisten Anonymous nutzen es genauso wie die Occupy Wallstreet Bewegung, die Maske taucht bei der tunesischen Jasminrevolution auf und ist inzwischen in vielen Ländern wie Dubai und Saudi Arabien sogar verboten. Natürlich ist sie aktuell gerade in Hamburg beim G20 zu bewundern, bei der Welcome to Hell Demo galt sie der Polizei als Vorwand um den Zug aufzumischen…


Henry Perronet Briggs, The Discovery of the Gunpowder Plot (c. 1823), V FOR VENDETTA Filmplakat 2006

An der Entstehung der Anonymous Maske läßt sich der Kreislauf der Anschauungsmetaphern zwischen Politik, Kunst und Karneval wunderbar darstellen. Der Grund warum ich hier aber über diese Maske schreibe ist viel persönlicher:
In dem Moment, in dem die genialischen Umdeutungen von Moore/Lloyd und den Wachowskis sich zur Pop-Ikone materialisieren sollen und ein Gesicht gesucht wird dessen Grinsen solch eine Kraft entfalten kann, taucht mein Freund S. in dieser Geschichte auf. Hugo Weaving, der vermummte männliche Hauptdarsteller in V FOR VENDETTA sieht der Regie zu wenig nach Guy Fawkes aus! Also wird ganz spontan ein Mitarbeiters des Art Departments gefragt, der ein wunderbares Lächeln hat. Ihr ahnt es schon – der Gipsabdruck wird vom Gesicht meines Freundes S. abgenommen, die berühmteste Maske unserer Zeit wird nach seinen Zügen geformt. Ich kenne S. schon seit den 90ern, aber das hat er mir erst vor 2 Wochen so ganz nebenbei erzählt. Der Widerstand des 21. Jahrhunderts trägt das Grinsen eines Freundes!

startling the world

Wahrscheinlich wären sie ziemlich erstaunt gewesen – deine Afronauten – wenn sie tatsächlich auf dem Mars gelandet wären. Zum einen darüber, dass der Planet tatsächlich bewohnt war und zwar von sehr menschlich aussehenden ‚Marsmännern‘, die seltsame Kopfhörer und glänzenden Taucheranzüge mit Kapuzen trugen. Zum anderen darüber, dass zumindest den Damen der Afronauten-Mission ein sehr herzlicher Empfang bereitet worden wäre.

Leider können die Marsmänner in MARS NEEDS WOMEN die vier ausgewählten Damen (eine Stripperin, eine Stewardess, eine Ballkönigin und eine Wissenschaftlerin) nicht mitnehmen, damit sie ihnen bei der Reproduktion helfen (da sie selbst nur noch männliche Nachkommen zeugen können). Einer der Marsmänner verliebt sich in die schöne Wissenschaftlerin, vereitelt die Mission und die Männer müssen ohne die Frauen auf ihren Planeten zurückkehren.

Der Film von 1967 ist ein klassischer B-Movie, der Regisseur war Larry Buchanan, der – wie er sich selbst nannte – ‚Schlockmeister‘ (von jidd. schlock = Schund). Viele seiner Sci-Fi Trash Filme sind eine Fundgrube wunderbarer Kostümideen.


„The eye creatures“ (1965), „Zontar- the thing from Venus“ (1966), „Creature of destruction“ (1967)

Afronauten

 

Du bist gerade zur Probe abgerauscht und mein Kopf fühlt sich – nach dem gestrigen Abend – immer noch etwas wattig an. Genau der richtige mood, um im Schneidersitz auf der Couch zu sitzen, Sun Ra zu hören und über einen kulturellen Höhenflug nachzusinnen, der mich schon lange fasziniert.

Afrofuturismus – der Begriff wurde erst 1994 vom amerikanischen Kulturwissenschaftler Mark Dery geprägt. In seinem Essay ‚Black to the Future‘ beschreibt er, „daß schwarze US-AmerikanerInnen in einem sehr buchstäblichen Sinne die Nachkommen von Menschen sind, die von Fremden, von ‚Aliens‘ entführt wurden. Sie leben in einem SF-Alptraum, in dem unsichtbare, aber nichtsdestoweniger undurchdringliche Kraftfelder der Intoleranz jede ihrer Bewegungen blockieren. Die offizielle Geschichtsschreibung leugnet, was ihnen angetan wurde. Und bösartige Technologien – von Brandmarkung, erzwungener Sterilisation und dem Tuskegee-Experiment bis hin zu elektrischen Peitschen – sind nur allzu oft gegen schwarze Körper eingesetzt worden.“ (Mark Dery, Black to the Future: Afro-Futurismus 1.01, Übersetzung von Dietmar Dath, http://www.springerin.at/dyn/heft_text.php?textid=316&lang=de) Aus dieser Erfahrung entsteht laut Dery das künstlerische Konzept des Afrofuturismus, als eine imaginierte und alternative Geschichte der Diaspora. Schon in den 50er Jahren hat sich  Hermann ‚Sonny‘ Blount als Sun Ra neu erfunden, als ein Mister Mistery, der vom Saturn kommt und die afroamerikanische Gemeinde in ein besseres Leben führt: The second stop is Jupiter! Space is the Place!

Realität versus Fiktion: 1964, also fünf Jahre bevor Neil Armstrong seinen blassen Fuß auf den Mond setzte, gründete Edward Makuka Nkoloso das Raumfahrtprogramm von Sambia. Nahe der Hauptstadt Lusaka entstand die ‚Nationalakademie der Wissenschaft, Raumforschung und Philosophie‘. Es wurden Raketen gebaut und AstronautInnen trainiert. Geplant war, den Wettlauf ins All zu gewinnen und noch vor 1969 auf den Mond und dann weiter zum Mars zu gelangen. Da die Unesco einen Millionenkredit verwehrte und die Amerikaner den Flüssigwasserstoff nicht lieferten, wurde das Programm leider nach wenigen Monaten wieder eingestellt.

2011 hat die spanische Fotografin Cristina De Middel die afrikanische Raummission wiederentdeckt und in einem Buch mit dem Titel ‚The Afronauts‘ verewigt. Das Buch fand zwar  keinen Verlag aber die Bilder ihres künstlerischen Reenactments sind immer noch im Netz zu finden. Wie Middel sagt, gründet die europäische Faszination für dieses Thema auf der Tatsache, dass keiner glaubt, „Afrika könne je den Mond erreichen.“ Ihre liebevoll rekonstruierten Szenen und poetischen Fotos sind also auch Ausdruck einer „subtilen Kritik unserer Haltung zum ganzen Kontinent.“ (Zitiert nach Tim Neshitov: Afronauten auf dem Weg ins All, SZ vom 5.12.2012)

italian tacky

Deine 450 Jahre alte Maskentradition kann ich hiermit nicht überbieten. Aber ich hab den Beweis dafür, dass es die Skinny Jeans schon weitaus länger gibt, als böse Zungen gern behaupten. Denn erfunden hat sie Elio Fiorucci, als er in den späten 70er Jahren auf Ibiza morgens nach einer Party sah, wie alle Damen direkt aus dem Club in ihren Jeans ins Wasser liefen. Da fiel ihm auf wie gut Jeans aussehen, wenn sie nass am Körper kleben – und schon war die Idee geboren, Lycra ins Jeansmaterial zu mischen.

Die Marke Fiorucci wird dieses Jahr 50 Jahre alt, gerade wird wieder ein Versuch gestartet, sie zu relaunchen. Fraglich bleibt aber, ob sie jemals wieder so bedeutend wird, wie in den 70ern, als der Fiorucci Store in New York so etwas wie die „daily version“ des Studio 54 war, zu den Kunden Andy Warhol, Douglas Coupland, Cher, Klaus Nomi… gehörten, der König von Spanien von der Drag Queen Joey Arias bedient wurde und die lebendigen Schaufenster Puppen die New Yorker noch zu schockieren vermochten.

Die Heimat von BORAT ist gleich nebenan!

Oh ja, kommen wir zu verkleideten Menschen zurück. An der Rhön, im Herzen Deutschlands gibt es einen erschreckenden Karnevalsritus: junge Männer verkleiden sich als „wilder Jud“ und werden dann von der restlichen Dorfbevölkerung verdroschen und aus dem Dorf gejagt! Es handelt sich um einen genuin antisemitischen Brauch, der seit dem Mittelalter in dieser Form begangen wird. Der Blaumann ist neu, aber die ältesten Masken, die sie in diesen Dörfern gefunden haben, sind tatsächlich 450 Jahre alt! (Ich hab das mal zufällig in einem Buch über Karnevalsmasken entdeckt. Den Buchtitel weiß ich leider nicht mehr, aber es steht im Präsenzbestand der Bibliothek des Kunstmuseum Bern – ganz hinten rechts!) Das, was Sacha Baron Cohen im fernen Kasachstan ansiedelt, findet also alljährlich mitten in Deutschland statt! Krass, oder? Dieses Foto bestätigte eine lang gehegte Vermutung: in der Schule habe ich immerhin gelernt, dass der Antisemitismus keine Erfindung der Nazis war, sondern schon im Deutschland des frühen 19 Jahrhundert grassierte. Das er aber eine uralte, dem deutschen Sein schon so lange anhaftende Gemeinheit ist, stand mir nun unwiderlegbar vor Augen. Was man so lange geübt hat, verlernt man nicht in 70 Jahren!

Fierce…

Zum Thema Insekten und Schwärme jetzt noch ein (letzter?) Beitrag! Eigentlich war das hier ja auch nicht als Naturkunde Blog gedacht…
Also schön den Blick auf die Mode und auf Thierry Muglers Kollektion „Les Insectes“ von 1997 gerichtet. Es lohnt sich absolut die ganze Show mal anzuschauen und sich zu wundern, dass das tatsächlich schon 20 Jahre her sein soll. Und falls es doch noch eine Sehnsucht nach mehr Tierwelt geben sollte, sind das sehr gut investierte 40 Minuten.
Hier aber nur ein kurzer Ausschnitt von einem sehr kleinem Insektenschwarm, in dem auch jeder tunlichst versucht die Kollison zu vermeiden und die Balance zu halten…

Dazu nun keine weiteren Forschungsergebnisse oder Filmzitate.

Kritische Masse

Danke für die Anregung, meine Vorstellung von Schwarmintelligenz war viel zu positiv! Ich ging doch tatsächlich davon aus, daß jedes Fischli entscheidet ob es die Bewegung mitmacht. Ein pausenloser Prozess des potenzierten Abwägens: ich mach die Kurve mit, wenn mir das da hinten auch nach Hai aussieht! Falls nicht, schwimm ich weiter wie bisher… Und die Bewegung verebbt wieder, der Schwarm kreist weiter um sich selbst. Tja, leider nicht!

Der Meeresbiologe Jens Krause hat in einen Dorschschwarm Roboterfische eingeschleust und siehe da: wenn diese mehr als 5% des Schwarmes ausmachen können sie den Schwarm lenken. Und das auch in die Nähe von Hai und Kollega. Es reicht also eine kritische Masse von 5% an ‚Entscheidern‘ um die Schwarmgesellschaft zu gefährden!
Es kommt noch schlimmer: Diese Erkenntnisse hat er auf Menschen angewendet und instruierte Beweger in eine Ansammlung eingeschleust, das Ergebnis: auch Menschenmassen sind mit 5% Proxemikprofis absolut lenkbar!

Anstatt das jetzt auf Politik zu übertragen und zu verzweifeln, erfreuen wir uns lieber an der Schönheit von schwärmenden Dorschen und Staren. Das kann jetzt jeder selber googlen! Ich poste hier lieber eine Zeichnung die mir dazu einfällt:

Jorinde Voigt (Sorry, hab nochnichma den Titel der Zeichnung parat, das nächste Mal wenn sie mir in MUC über den Weg läuft frag ich nach!)

uncanny big and small dogs


SPOT, Boston Dynamics, 2015  –  BIG DOG, Boston Dynamics, 2008

2015 hat Boston Dynamics den neuen Roboter-Vierbeiner SPOT vorgestellt – kleiner und weniger martialisch als sein Vorgänger BIG DOG. Das Spannende an diesem neuen Roboter kann man in Minute 1:20 des Videos bestaunen, als zwei SPOTs zusammen einen Berg hochlaufen, der eine den anderen mehrmals anrempelt, beide die Balance halten, sich parallel zueinander ausrichten  und sich dann oben angekommen in dieselbe Richtung drehen.

Ist dieses Verhalten mit der Schwarmintelligenz von Tieren vergleichbar?
Bei Versuchen  mit Heuschrecken hat man herausgefunden, dass diese sich in großen Schwärmen deswegen so dynamisch zusammen bewegen, weil sie ganz einfach versuchen Kollisonen zu vermeiden. SPOT ist eigentlich nicht dazu gebaut mit seinesgleichen zu kooperieren, aber das ist hinfällig, wenn sich die Koordination der Roboter untereinander automatisch aus den technischen Regeln ergibt, die jeden Roboter lenken. Es ist einfach sich vorzustellen, wie viele SPOTs organisiert zusammen arbeiten können, wenn die Sensoren auf ihren „Köpfen“ dazu programmiert sind, nach „Vermeidungstaktiken“ vorzugehen.

Iain Couzin Biologe an der Princeton University und Experte auf dem Gebiet des Kollektivverhaltens geht so weit, diese Berührungen zwischen SPOT eins und zwei eine soziale Interaktion zu nennen: “No matter how primitive, there’s no doubt that these interactions could enhance the decision-making capabilities of such robots when they must make their own, autonomous, decisions in an uncertain world.”  Und um bei deinem letzten Beitrag und den schlechten Filmen zu bleiben – bleibt zu hoffen, dass das dann nicht so endet wie der Zombie Ansturm in WORLD WAR Z.

the uncanny valley

Questa volta in italiano perché il video è dalla vernice della Biennale di Venezia (ed anche perché sono troppo tardi con il mio testo)!


The uncanny valley è un’ipotesi presentata dallo studioso di robotica nipponico Masahiro Mori nel 1970. La ricerca analizza sperimentalmente come la sensazione di familiarità e di piacevolezza generata da robot e automi antropomorfi aumenti al crescere della loro somiglianza con la figura umana, fino ad un punto in cui l’estremo realismo rappresentativo produce però un brusco calo delle reazioni emotive positive, destando sensazioni spiacevoli come repulsione e inquietudine paragonabili al perturbamento che sentiamo quando incrociamo uno zombie.

Questa teoria è diventata importante per i film di animazione ed offre sicuramente la spiegazione perché THE POLAR EXPRESS dal 2004 era un flop! Questo Tom Hanks animato faceva paura!

bubble

weil ein zweiter Beitrag über Japan nicht schaden kann…

Pieter Bruegel der Ältere, Der große Turmbau zu Babel, 155×114 cm, ca. 1563
Tocho, das Rathaus von Tokyo, entworfen von Kenzo Tange, erbaut zwischen 1988 und 1991
Haus Rucker, Ballon für Zwei, Wien 1967

Soweit ich weiß, ist nicht explizit ein Film gedreht worden, der dieses Gebäude preist. Interessant ist aber, dass das Rathaus von Tokyo auch als „Baburu no To“ bezeichnet wird, was sowohl „Turm von Babel“ als auch „Bubble-Turm“ heißen kann. Erbaut wurde es für 157 Milliarden Yen mitten in der Zeit der Bubble Economy, daher auch der zweite Name als Anspielung auf die Gier und den Größenwahn der achtziger Jahre.
Im 45. Stockwerk gibt es übrigens eine Aussichtsplattform, die man umsonst besuchen kann.

Kirin

halb und halb

Kirin Plaza (*1987 / †2007)

Über die Vergänglichkeit: Das schönste Gebäude der Welt stand von 1987 bis 2007 in Osaka. Das Kirin Plaza von Shin Takamatsu wurde Oktober 2007 geschlossen und kurz darauf abgerissen. Ich weiß nicht genau wieso. Gut, es stand auf dem teuersten Grundstück der Stadt und war – wie alle Gebäude von Shin aus dieser frühen Phase – nur Form, nur Zeichen: eine riesige Lobby, eine Bierbar und diese Leuchttürme die keine Nutzung umschließen ausser Licht. Vollkommen unökonomisch und vielleicht auch deshalb zum Fürchten schön. Zum Glück hat Ridley Scott ihm in BLACK RAIN ein Denkmal gesetzt, gleich zu Anfang kommt Michael Douglas hier in Osaka an, dann die Karaoke Szene in der Andy Garçia „What’d I Say“ von Ray Charles singt und zum Schluss läuft Michael kurz durch die Lobby bevor Andy von einem Motorrad-Yakuza geköpft wird. Der ganze Film ist eigentlich ein kotau vor diesem einzigartigen Gebäude!

robo – mistkäfer

Alexander McQueen – 2010
Cetonia Aurata –  Goldschillernder Rosenkäfer

Da du in die Tierwelt eingestiegen bist, mach ich hier mal weiter damit. Cetonia Aurata erinnerte mich an einen Entwurf des absolut schillerndsten Mistkäfers der Modewelt. Was für Geräusche Cetonia Aurata bei der Balz macht kann ich dir nicht genau sagen und auch nicht wieso genau der Panzer so glänzt. Aber McQueen scheint mit seinem Cyborg Entwurf der zukünftigen Welt gar nicht so weit vorausgegeriffen zu haben. 2016 haben Forscher mit Hilfe eines Mikro-Computers, den man auf dem Panzer des afrikanischen Rosenkäfers befestigt hat, und Elektroden, die an den Beinen sitzen, einen Käfer sehr erfolgreich in eine Drohne verwandelt.

wuthering heigths

Halb Kate halb Busch
(Plattencover, Kate Bush, Lionheart, 1978)

Bei so viel ‚halb Mensch halb Tier‘ – aber vor allem ‚halb Eis halb Stiel‘ in Deinem letzten Videobeitrag – frage ich mich auf welcher Grundlage die terrestrische Kommunikation stattfindet, nehmen wir einfach mal nur die Fauna, sehen und hören wir denn alle das gleiche, verstehst Du denn X wenn ich X sage? Zu Verständigungsproblemen in Liebesdingen – im Dreieck zwischen Grille, Mensch und Grille – ist mir ein kleiner Text wieder eingefallen, den ich mal irgendwo abgeschrieben habe (Klangkunst, Berlinische Gallerie, 90er Jahre?):

Ingenieure der Bell Laboratorien hatten beim Herumspielen mit den ersten Tonbandgeräten die geistreiche Idee, das Zirpen von Grillen aufzunehmen, wie der Mensch es wahrnimmt. Sie spielten es den Grillen vor um herauszufinden, ob Tonbandaufnahmen ihr Paarungsverhalten beeinflussen könnten. Es gab aber ein Problem: Grillen beginnen ab 20khz zu hören, einer Tonhöhe, von der an Menschen taub sind. Der ‚Klang‘ von Grillen für Menschen und der ‚Klang‘ von Grillen für Grillen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Als Spezies sind wir gegenseitig taub.

1984

Max Headroom (aka: Makkusu heddorûmu) 1984, Channel 4 UK

… als Matt Frewer noch 4 Stunden Maske über sich ergehen lassen musste, um in die Silikonhaut des ersten, scheinbar digital erzeugten, AI Charakters zu schlüpfen, hat noch keiner geblickt, dass artifizielle Intelligenz nicht antropomorph sein würde! Mensch, da haben wir uns aber getäuscht – was ne Schande!

Hamartiä!!!

Die Frage, welche Art von Handlung Gegenstand der Mimesis wird, erörtert Aristoteles im Zusammenhang mit dem Begriff des Mythos. Unter Mythos ist hier die Darstellung von Handlungen zu verstehen. […] Ein guter Mythos „… darf nicht vom Unglück ins Glück, sondern er muß vielmehr vom Glück ins Unglück umschlagen, nicht wegen der Gemeinheit, sondern wegen eines großen Fehlers (hamartiä)…“ der zentralen Figur der Tragödie. (Aristoteles, Poetik, nach der Übersetzung von M. Fuhrmann, zitiert nach Dieter Teichert, Medienphilosophie des Theaters, in: Ludwig Nagl & Mike Sandbothe (Hg.), Systematische Medienphilosophie, De Gruyter 2005, S.199-218.)

Cover Arbeitsmarkt ‚Kunst und Kultur‘, Foto: Sergey Nivens

Dieses Bild war vor kurzem auf dem Cover eines Heftes, dass monatlich alle Stellenanzeigen im Bereich von ‚Kunst und Kultur‘ versammelt. Ich habe es abfotografiert (und hier auch nochmals im Netz nachrecherchiert!), da diese ‚Nachahmung des Lebens‘ in mir einen mitleidigen Schauder erweckt hat. Der junge Mann auf dem Bild ist dabei einen tragischen Fehler zu begehen!

garden state

Viviane Sassen, In and Out of Fashion

Als Mimese (gr. μίμησις mímēsis, Nachahmung) wird in der Biologie eine Form der täuschenden Nachahmung bezeichnet, bei der ein Lebewesen in Gestalt, Haltung und Farbe ein belebtes oder unbelebtes Objekt seines Lebensraumes nachahmt, das für den zu täuschenden Empfänger uninteressant ist.

Deutungskämpfe 2000

Das unter den eigenen Bildern viele andere liegen, das fühlen wir alle, oder? In ‚the drain‘ von 1989 bezieht sich Jeff Wall auf ‚Le Pont de Maincy’ von Cézanne und sucht “… a secret recall of that Heimlichkeit which resides in all Unheimlichkeit, an unconscious encounter with something déjà-vu.“ (Thierry De Duve, The Mainstream and the Crooked Path, siehe: http://www.rhizomes.net/issue23/debolle/index.html)

Tolles Bild, die Körperhaltung der fast Entfliehenden ist einfach genial! Tatsächlich finden sich diese zwei Mädchenfiguren bei Cézanne nicht – Wall kopiert nicht sondern aktualisiert die zugrunde liegende Gefühlswelt. Über dieses Foto legt sich bei mir noch ein drittes Bild: 16 Jahre später wird Wall’s Arbeit in einer Werbung der Schweizer Bundesbahnen weitergesponnen, das Unheimliche muss einer gefahrlosen ‚Entdeckung’ weichen und am Ende des Tunnels ist kein dunkles Geheimnis mehr sondern nun – ganz marktkonform – Licht.

Jeff Wall ‚the drain‘ 1989 – SBB Werbung ‚Entdeckung‘ 2005

Was passiert mit unseren Gefühlen, wenn die ihnen zugrunde liegenden Denkbilder funktionalisiert werden? Können wir unseren Erinnerungen noch trauen, oder vermischt sich persönlich Erlebtes und Entliehenes im Rückblick? Ich erinnere mich doch an solche faszinierend dunklen Orte aus meiner Kindheit, wie viel davon ist Filmszene, Kunst, Werbung?

Elisabeth Bronfen diagnostiziert 2000 in Der Zeit, dass unsere Wahrnehmung von Welt zunehmend von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Rationalitäten überformt wird. Der Jargon klingt heute schon historisch, aber die Kernaussage würde ich immer noch unterschreiben: In der Arena der Öffentlichkeit finden Deutungskämpfe statt, es werden Denkreviere abgesteckt, Anschauungsmetaphern von Konzernen oder anderen Interessengruppen besetzt. Dies erleben wir als verhängnisvoll, „da unsere Realität zwar keine Metapher ist – diese Realität dennoch nur im Heer mobiler Denkbilder als Verstellung oder Entstellung, zur bedeutsamen psychischen Wirklichkeit werden kann. […] Vielleicht ist unser Problem heute weniger der Mangel an Realität in einer als simulacrum erfahrenen Welt. Vielmehr ist es die Realität der Kämpfe, die die Anschauungsmetaphern untereinander um die Deutungsherrschaft in der Arena der Öffentlichkeit austragen.““ (E. Bronfen, Über Wahrheit und Lüge des Kinos, Die Zeit, 2000)

Im Spiegel, 1981

Helmut Newton: After Velazquez in my apartment, Paris, 1981

Aus mehrfach gegebenem Anlass geht mein erster Beitrag ein paar Schritte zurück – über die Dächer von Paris, 1981 (!), wo es wahrscheinlich auch gerade Sommer wird. Eigentlich bin ich ja nicht so ein riesengroßer Newton Fan, aber dieses Foto scheint wie gemacht für meinen ersten Eintrag. Paris ist hier, Velazquez gerade um die Ecke, der Spiegel von früher, damals ein Fernseher und jetzt ein Laptop. Mal sehen wo unsere „Selbstbespiegelungsreise“ noch so hinführt… Und auch wenn Newton sagt: „Any photographer who says he’s not a voyeur is either stupid or a liar“, poste ich trotzdem als mein erstes Bild eine nackte Frau – nicht nur für den Voyeur.