Afronauten

 

Du bist gerade zur Probe abgerauscht und mein Kopf fühlt sich – nach dem gestrigen Abend – immer noch etwas wattig an. Genau der richtige mood, um im Schneidersitz auf der Couch zu sitzen, Sun Ra zu hören und über einen kulturellen Höhenflug nachzusinnen, der mich schon lange fasziniert.

Afrofuturismus – der Begriff wurde erst 1994 vom amerikanischen Kulturwissenschaftler Mark Dery geprägt. In seinem Essay ‚Black to the Future‘ beschreibt er, „daß schwarze US-AmerikanerInnen in einem sehr buchstäblichen Sinne die Nachkommen von Menschen sind, die von Fremden, von ‚Aliens‘ entführt wurden. Sie leben in einem SF-Alptraum, in dem unsichtbare, aber nichtsdestoweniger undurchdringliche Kraftfelder der Intoleranz jede ihrer Bewegungen blockieren. Die offizielle Geschichtsschreibung leugnet, was ihnen angetan wurde. Und bösartige Technologien – von Brandmarkung, erzwungener Sterilisation und dem Tuskegee-Experiment bis hin zu elektrischen Peitschen – sind nur allzu oft gegen schwarze Körper eingesetzt worden.“ (Mark Dery, Black to the Future: Afro-Futurismus 1.01, Übersetzung von Dietmar Dath, http://www.springerin.at/dyn/heft_text.php?textid=316&lang=de) Aus dieser Erfahrung entsteht laut Dery das künstlerische Konzept des Afrofuturismus, als eine imaginierte und alternative Geschichte der Diaspora. Schon in den 50er Jahren hat sich  Hermann ‚Sonny‘ Blount als Sun Ra neu erfunden, als ein Mister Mistery, der vom Saturn kommt und die afroamerikanische Gemeinde in ein besseres Leben führt: The second stop is Jupiter! Space is the Place!

Realität versus Fiktion: 1964, also fünf Jahre bevor Neil Armstrong seinen blassen Fuß auf den Mond setzte, gründete Edward Makuka Nkoloso das Raumfahrtprogramm von Sambia. Nahe der Hauptstadt Lusaka entstand die ‚Nationalakademie der Wissenschaft, Raumforschung und Philosophie‘. Es wurden Raketen gebaut und AstronautInnen trainiert. Geplant war, den Wettlauf ins All zu gewinnen und noch vor 1969 auf den Mond und dann weiter zum Mars zu gelangen. Da die Unesco einen Millionenkredit verwehrte und die Amerikaner den Flüssigwasserstoff nicht lieferten, wurde das Programm leider nach wenigen Monaten wieder eingestellt.

2011 hat die spanische Fotografin Cristina De Middel die afrikanische Raummission wiederentdeckt und in einem Buch mit dem Titel ‚The Afronauts‘ verewigt. Das Buch fand zwar  keinen Verlag aber die Bilder ihres künstlerischen Reenactments sind immer noch im Netz zu finden. Wie Middel sagt, gründet die europäische Faszination für dieses Thema auf der Tatsache, dass keiner glaubt, „Afrika könne je den Mond erreichen.“ Ihre liebevoll rekonstruierten Szenen und poetischen Fotos sind also auch Ausdruck einer „subtilen Kritik unserer Haltung zum ganzen Kontinent.“ (Zitiert nach Tim Neshitov: Afronauten auf dem Weg ins All, SZ vom 5.12.2012)